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Kolkraben (Corvus corax) an Mülldeponien
- ein hausgemachtes Problem ?

von Dipl.- Biol. Björn Sander

Im Auftrag des Landkreises Uelzen untersuchte das Institut für Ökologie und Naturschutz der Universität Potsdam die Kolkrabenproblematik an der Deponie Borg (Landkreis Uelzen, Niedersachsen). Unter der Leitung von Prof. Wallschläger wurden über einen Zeitraum von zwei Jahren das Verhalten, das Nahrungsangebot, die Bejagung und andere Fragen von Rainer Allenbach, Björn Sander wissenschaftlich dokumentiert. Ziel war die Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten zur Eindämmung von Schäden.
Der Text ist jedoch keine Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse, er möge lediglich als Informationsbeitrag zur Diskussion um die Problematik und eventuelle Vergrämung von Rabenvögeln dienen. 
Rückfragen beantwortet der Autor.

Welche Kolkraben leben an Mülldeponien? 
Nach einer scharfen Verfolgung durch den Menschen wächst die Population der Kolkraben und sie breitet sich seit 40 Jahren in Deutschland wieder aus, es kommt zum Auftreten größerer Junggesellentrupps (Nichtbrüter).
Der biologische Hintergrund dafür ist die späte Geschlechtsreife des Kolkraben, der frühestens im 4. Lebensjahr erstmalig zu Brut schreitet. Eine wichtige Ursache für das Auftreten von großen Nichtbrüterverbänden liegt in den vom Menschen geschaffenen, für Rabenvögel äußerst attraktiven, örtlichen Nahrungskonzentrationen. Dies sind Massenfreilandhaltungen von landwirtschaftlichen Nutztieren, Mülldeponien, Biwakplätze, Safariparks und auch durch intensiven Pflanzenbau bedingter Schädlingsbefall (z.B. Kartoffelkäfer). Häufig gibt es insbesondere an Mülldeponien auch Ausweichplätze, die während der Betriebszeiten aufgesucht werden. Während bei einer ausreichenden Tageslänge im Sommer genügend Zeit zur Nahrungssuche auf der Deponie verfügbar ist, kommt es in den übrigen Monaten zu ei-ner stärkeren Verlagerung der Aktivitäten auf umliegende Ackerflächen. In der Regel sind dies mit Kartoffeln, Mais und Rüben bestellte Äcker, in Ausnahmefällen auch Sonderkulturen wie Weißkohl, Erbsen und Gurken.
Durch die hohe ökologische Plastizität des Kolkraben und sein ausgeprägtes Sozialverhalten ist es dazu gekommen, dass sich an den genannten Plätzen Rabenkonzentrationen aus mehreren hundert Vögeln herausbilden können. Als opportunistischer Allesfresser orientiert sich der Kolkrabe am verfügbaren Nahrungsangebot.
Das Sozialverhalten von Kolkraben durchläuft altersabhängig mehrere Stadien: Jungvögel verlassen im Alter von ca. 3 Monaten (Juli/August) den Familienverband und schließen sich Nichtbrüterverbänden an. Diese Schwärme suchen zur nächtlichen Ruhe gemeinsame Schlafplätze auf und zerfallen tagsüber in mehr oder weniger große nahrungssuchende Gruppen. Es wird vermutet, dass die Schlafplätze eine Art "Informationszentrum" darstellen. Schlafplätze können über längere Zeit an einem Ort sein und dann plötzlich über eine größere Strecke verlagert werden. Brütende Kolkrabenpaare besetzen Reviere von mehreren Quadratkilometern und dulden keine Artgenossen in ihrer Nähe. Erst nach Beendigung des Brutgeschäftes nutzen auch diese territorialen Altvögel gelegentlich die Nahrungsplätze der Junggesellentrupps. Bevorzugte Nahrungsplätze sind vor allem im Winterhalbjahr die Mülldeponien, Kompostieranlagen, Tierkörperbeseitigungsanstalten, Freilandhaltungen von Mutterkühen, Schafen, Schweinen, Enten und Gänsen. 

Welche Schäden treten auf und gibt es Lösungen?
* Schäden an Feldkulturen treten nicht nur als Ergebnis der Nahrungssuche, sondern auch in Verbindung mit dem  ausgeprägten Spieltrieb der Raben auf oder sind sekundärer Natur, wenn die Vögel intensiv nach Insekten und anderen Schädlingen graben. Das hohe Sicherheitsbedürfnis der Kolkraben führt dazu, dass die Nahrung bevorzugt auf erhöhten und vegetationslosen Flächen gesucht wird.
* Verschiedene Nachlässigkeiten bei der Bearbeitung der landwirtschaftlichen Kulturen im Gebiet (unvollständige Einbringung des Ernteguts, unnötige Schaffung von "Sicherheitsbereichen") können Kolkraben zusätzliche Nahrung bieten und daher attraktiv  wirken.
* Bejagung im gegenwärtig genehmigten Umfang kann lediglich punktuell zu einer Vergrämung bzw. zur Vergrößerung der Fluchtdistanz führen. Beobachtungen in anderen Teilen Deutschlands, darunter auch in Niedersachsen haben gezeigt, dass Raben auf Abschüsse mit Flucht oder Annäherung reagieren, da sie Schüsse mit leicht erlangbarer Beute assoziieren (durch Jäger erlegtes und aufgebrochenes Wild). Weiterhin konnte ermittelt werden, dass durch den Abschuss von Artgenossen kein längerfristiges Meideverhalten hervorgerufen wird. Eine großräumige Bestandsregulierung ist zudem gegenwärtig sowohl von Jagd als auch Naturschutz nicht gewollt und politisch kaum durchsetzbar.
* Weitere Vergrämungsmaßnahmen, wie verschiedenartige "Vogelscheuchen" und im Handel befindliche Knall- und Pfeifgeräte  rufen nach kurzer Eingewöhnungszeit bei Rabenvögeln kein Fluchtverhalten hervor.
* Eine konsequente Verringerung der Kolkrabenzahl auf der Deponie Borg kann nur durch eine Verringerung des Nahrungsangebots bzw. dessen Zugänglichkeit erreicht werden. Dies betrifft sowohl den eigentlichen Deponiebereich (Abdecken und/oder Shreddern von Frischmüll), als auch die umliegenden Äcker (Vermeidung des Anbaus attraktiver Feldfrüchte, speziell Kartoffel auf Feldern mit Rund-um-Sicht, sauberes Arbeiten bei Aussaat und Ernte usw.). Die bewusste Mitverantwortung von Landwirten und z.T. der Jägerschaft an Kolkrabenschäden ist öffentlich zu diskutieren.
* Eine Schadensregulierung sollte ökonomisch gegen andere Maßnahmen aufgerechnet werden, um im Endergebnis zu prüfen, ob beispielsweise Abdeckung des Mülls oder der Einsatz neuartiger elektroakustischer Anlagen eine kostengünstigere Variante darstellen. 
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass eine Vergrämung der Raben sicherlich Folgeeffekte an anderen Deponien durch Verlagerung der Nichtbrüterverbände hervorruft. Das bedeutet, dass letztendlich überregionale Lösungen des Umgangs mit Kolkraben und anderen Problemarten gefragt sind. Diese können unseres Erachtens nur bundesweit unter Einbeziehung des europäischen Rechts erarbeitet werden.
 

Links zum Thema Problemvögel / Kolkraben:

Kolkraben in Mutterkuhherden, W.-D. Otto

Freispruch für Galgenvögel, Universität Potsdam

Der Kolkrabe - ein Überlebenskünstler kehrt zurück, Nabu Rheinland-Pfalz